Zurück nach Sanyang

Donnerstag Morgen um sechs, mit Ende des Gebetes in der Mosche stand ich auf. Banna wollte mich kurz vor sieben abholen, damit ich den Super Express Bus nach Brikama kriege, der irgendwann zwischen sieben und halb acht hier in Janjanbureh Halt macht. Und tatsächlich saß ich um viertel nach sieben im klimatisierten Bus mit nur vier Sitzen in einer Reihe. Sofort ging es wieder weiter und tatsächlich war der Bus um viertel nach elf in Brikama und noch mal eine Dreiviertel Stunde später saß ich in meinem Garten. Geht doch!

In Kunting

Hier ist Banna geboren und aufgewachsen. Als wir in Kunting ankommen, fahren wir an einem Gehöft vorbei. Hier bin ich geboren und meine ersten drei Jahre aufgewachsen, sagt er und fährt weiter. Der Compount gehört wohl nicht mehr der Familie.

Dann kommen wir zum nächsten Compount, dem seines Onkels.
Als Banna drei Jahre alt ist, heiratet seine Mutter einen neuen Mann. Sein Vater war wohl kein guter Typ, seine Mutter trennte sich von ihm. Er ist schon vor ein paar Jahren gestorben.
Seine Mutter gab Banna zu ihrem Bruder, seinem Onkel. Dort wuchs er dann auf. Onkel, seine Mutter und Mama (die später in Bannas Lebe noch eine Rolle spielt) sind Geschwister, same Father, same mother. Seine Mutter ist, wie hier üblich, zu ihrem neuen Mann gezogen, sehr weit weg von Kunting. Bei seinem Onkel und dessen erster und zweiter Frau wuchs Banna auf, bis die dortige Schule nichts mehr zu bieten hatte, also es gab dort nur Unterricht bis Grad sechs, da schickte ihn sein Onkel nach Janjanbureh zur Armitage School, eine Schule, an der man Abitur machen kann. Während dieser Jahre lebte Banna bei seiner Tante Mama und ihrem Mann Kassim, den ich auch vor zehn Jahren kennenlernen durfte. Er war damals bereits erblindet, hoffte aber noch auf Augen OP, besuchte verschiedene Ärzte, auch in Dakar im Sengal. Leider konnte niemand ihm helfen.
Kassim war als Tierarzt unterwegs, ohne je studiert zu haben. Aber er lernte von seinem Vorgänger mit Großvieh umzugehen und zu heilen, besuchte Workshops und bildete sich so weiter. Als er im Rentenalter war erblindete er am grauen Star. Vor zwei Jahren hatte er einen schlimmen Schlaganfall und starb vor anderthalb Jahren. Ich mochte und schätzte Kassim sehr. Aber der Schlaganfall hatte ihn zu einem absoluten Pflegefall gemacht. Mama tat ihr Bestes und litt sicherlich sehr unter seinem vollkommen veränderten Zustand. Auch Banna litt unter dem körperlichen und geistlichen Verfall seines Onkel Kassim, den er wirklich sehr mochte, und dessen Tod war denn doch eine echte Erlösung.

Das Gehöft seines Onkels in Kunting hat mich sehr beeindruckt. Es ist alles sehr sauber, aufgeräumt, organisiert. Nachdem ich das Hoftor passiere, ist links eine kleine Einzäunung von ca. 2 x 3 Meter für die Schafe und Hühner. Der Einzäung schließt sich ein kleines Lehmhäuschen an, auch etwa 3×3 Meter. Dieses Häuschen war für Banna gebaut. Wenn die männlichen Nachkommen ins Teenageralter kommen, bekommen sie Ihre eigene Unterkunft, dürfen nicht mehr im Haupthaus bei den anderen Familienmitgliedern schlafen.
An dieses Häuschen schloss sich eine größere Fläche von ca. 150 Quadratmeter an, auch ordentlich eingezäunt. Dies ist der Gemüsegarten.
Das Wohnhaus ist um die 20 Meter lang, besteht aus mehreren Zimmern mit Glasfenstern. Das soll hier extra erwähnt werden, denn Glasfenster sind teuer und man sieht sie hier auf dem Land eher selten. Über die gesamte Hausbreite zieht sich eine erhöhte Terrasse mit einer Tür zu jedem Zimmer. Angrenzend an die Terrasse gibt es eine erhöhte, überdachte Plattform aus Beton. Unterm Dach hängen mehrere Moskitonetze. Hier schläft die Familie, wenn es in der heissen Jahreszeit, also jetzt, im Haus zu heiss zum Schlafen ist.
Mitten im Hof steht ein großer, Schatten spendender Baum mit einer weiteren, allerdings hölzernen Plattform. Als wir kommen wird darauf eine Matte ausgerollt, auf der wir Platz nehmen. Im Schatten dieses Baumes ist spielt sich hauptsächlich das Leben ab. Hier wird geklönt, Essen vorbereitet; hier stehen im kühlenden Schatten zwei in feuchte Tücher eingewickelte Wasserkanister. Die feuchten Tücher halten durch die Verdunstungskälte das Wasser kühl. Auf einer Bank stehen 5 weitere Wasserkanister, allerdings leer. Es gibt im Dorf keine private Wasserversorgung, sondern das Wasser muss von zentralen Zapfstellen herbei geholt werden.
Auch im Hof steht kopfüber ein großer Holzmörser zum Reisstampfen, um den Reis von seinen Schalen zu trennen. Die Küche ist in einem Gebäude neben dem Wohnhaus untergebracht. Es gibt keine Wandschränke, oder überhaupt Schränke, nur ein paar Schüsseln, Töpfe und Kellen, alles fein sauber aufgereiht.
Leider bin ich zu zurückhaltend, was das Fotografieren von Menschen und privaten Einrichtungen betrifft. Ich stell mir immer vor, wie ich reagiere, wenn Menschen bei uns Fotos machen wollen. Einige Bereiche dürfen sie gern fotografieren, andere nicht. Grundsätzlich mag ich es nicht so gern. Ich hätte die Menschen ja fragen können, aber ich hab’s gelassen. Diese Beschreibung soll meine Erinnerung wach halten, mehr nicht.
Jedenfalls hab ich mich sehr gefreut, dort zu Gast gewesen sein zu dürfen. Es war schön bei Bannas altem Zuhause und seinem Onkel und dessen zweite Frau (die erste lebt nicht mehr). Es ging sehr fröhlich, freundlich und warmherzig zu.
Natürlich folgte dann noch ein kurzer Spaziergang zur Krankenstation und zur Schule, die jetzt ein paar mehr Alterstufen beheimatet. Bei der Krankenstation ist gerade Mutter-Kindtag und viele, sehr viele Frauen mit Babys und kleinen Kindern, teilweise auch schwanger,  waren dort. Es gibt dort nur eine ausgebildete Krankenschwester. Heute war ein Arzt aus Bassa angereist, um die Mütter und Kinder zu untersuchen.

In der Schule war gerade Mittagspause und die Kinder saßen teilweise im Schulhof und mümmelten ihr Mittagessen, andere spielten und ich musste wohl fünfzig Hände abklatschen. Die Kinder hier haben sicher nicht so häufig Kontakt zu Weißen und waren überwiegend höflich und freundlich. Das ist in Küstennähe, wo es viele Weiße gibt, ganz anders.
Es war ein sehr, sehr schöner Ausflug.

Nach Kunting

Den nächsten Morgen um acht wollte Banna mich zum Frühstück abholen. Um sieben klopfte er bereits an der Tür. Auch egal. Mit Schlaf war eh nicht mehr zu rechnen.
Banna ist in Kunting, einem Dorf im Busch, geboren und aufgewachsen. Er erzählt oft davon, dass er seinen Onkel dort besucht, und ich wollte diesen Ort so gerne Mal kennenlernen. Jetzt war es soweit. Banna hatte für diesen Tag einen Besuch in seiner Heimat geplant.

Als ich Banna bei meinem ersten Besuch Gambias vor 10 Jahren kennenlernte, war er ein junger und jugendlicher Typ. Vater von zwei reizenden Töchtern. Im Laufe der Jahre und mit wachsendem Alter hat er sich mehr und mehr ehrenamtlich engagiert, hatte zeitweise eine eigene Fußballmannschaft in Janjanbureh, jedenfalls sorgte er für Sponsoren und war selber einer. Bei den letzte Kommunalwahlen engagierte er sich in der örtlichen Politik, ist ein cleverer Geschäftsmann mit eigener Lodge und nun fuhren wir in seinem eigenen Auto, einem Golf, nach Kunting, ca. 20 km entfernt. Seit Neustem gibt es eine Teerstrasse bis fast in den Ort, was einen Besuch dort erheblich einfacher macht.

Angekommen in Janjanbureh

Bannas Lodge ist eine Baustelle. Die beiden noch funktionierenden Zimmer wollte er mir nicht zumuten, weil ich bei der Affenhitze dort ein Zimmer mit ac, also aircondition bräuchte. Deshalb hatte er mir ein Zimmer in dieser öffentlichen Unterkunft reserviert. Die ist zwar sehr günstig, aber furchtbar und dort wollte ich wohnen. Also nahm ich ein Zimmer in einer hübschen, kleinen Lodge mit ac. Banna brachte mich dorthin und ich brauchte erstmal eine Pause.
Ach ja, sagte Banna, es sei zwar vollkommen ungewöhnlich, aber es hätte heute schon den ganzen Tag kein Wasser gegeben. Das war für mich jetzt doch ein kleines Problem, denn nach der langen Fahrt im übervollen Bus und auf diesen original in Plastikfolie gehüllten Sitzen war ich ordentlich verschwitzt und eine amtliche Dusche hätte jetzt echt gut getan.
Und während wir da so auf der Terrasse vor meinem Zimmer saßen und plauderten, balancierte auf der gegenüber liegende Grundstücksmauer eine riesig große Ratte mit einem sensationell langen Schwanz. Uiii, sagte ich, das ist aber eine ganz schön große Ratte da oben. Und Banna so: Yes, it‘s big. Sie war etwas vier Mal so groß wie die Ratten, die man sonst so sieht und ich hoffte noch, es sei vielleicht ein Aguti, die man zumindest in Togo auch gern mal auf den Grill wirft. Aber nein, es war eine einfache Ratte. Bald darauf wackelte es heftig im sehr dichten und sehr hohen Bambusgestrüpp hinter der Mauer. Ein Affe versuchte, sich dort hindurch zu zwängen, was ihm auch gelang. Zum Glück wollte er aber nicht zu uns, sondern ein Grundstück weiter.

Wie immer, wenn ich in Janjanbureh bin, folgte dann erstmal ein sehr langer Spaziergang durchs Dorf und Umgebung, um mich über die neuesten Entwicklung in Kenntnis zu setzen. Irgendwann bat ich Banna, einfach nur meine hübsche kleine Terrasse anzusteuern, nicht ohne auf dem Weg dorthin noch ein paar Dosen Bier zu organisieren. Ich war einfach nur platt, durstig und hungrig.

Essen hatte Bannas Frau Fanta zubereitet. Chicken and Chips. Ein bisschen scharf. Genau das richtige, bevor ich mich für die Nacht verabschiedete.

Wasser war noch immer nicht da, aber in einem Eimer neben dem Clo waren noch ca. 3cm Wasser, mit dem ich meine pechschwarzen Füße wenigstens waschen konnte, bevor ich damit das weiße Laken versaue. Sehr spät abends  rief Banna mich an. Wasser ist wieder da. Also nichts, wie unter die Dusche. Das Wasser kochte. Von Erfrischung und Abkühlung war ich weit entfernt.

Es war heiss, die ac zu laut zum Schlafen, der Venti an der Decke noch lauter, die Nacht kurz und schrecklich.

Ich fahre zu Banna nach Janjanbureh

Unser Freund Banna riet mir, den Super Express Bus nach Janjanbureh zu nehmen. Der nimmt nur so viele Personen mit, wie es Sitzplätze gibt, ist Klimatisiert und hält unterwegs nur zwei, drei Mal an.
Also bin ich Montag Morgen mit dem Auto nach Brikama gefahren, um ein Ticket zu kaufen, und einen Sitzplatz zu reservieren für den nächsten Tag. Aber weder das Eine noch das Andere war möglich. Ich solle um 9.00 Uhr an der Bushaltestelle in Brikama sein, der Super Express Bus würde so gegen 10 nach neun starten. Also beschloss ich, um halb acht dort zu sein, bestellte Momodou mit seinem Taxi zu um acht am Dienstagmorgen. Als der sonst so pünktliche Momodou um 5 nach 8 noch nicht hier war, rief ich ihn an, aber leider nahm er nicht ab. Ich versuchte es noch einige Male, aber keine Antwort. Gegen viertel nach acht machte ich mich dann zu Fuß auf dem Weg zum hiesigen Taxistand, um mit einem anderen Taxi nach Brikama zu kommen. Auf dem Weg dorthin rief Momodou dann zurück. Er hatte verschlafen (gab beim ihm am Abend zuvor irgendwelche Schwierigkeiten), aber er schwang sich umgehend in sein Taxi und sammelte mich auf, bevor ich den Taxistand erreicht hatte und brachte mich mit Affenzahn nach Brikama. Diese Stadt ist auch früh morgens schon vollkommen verstopft und so ging ich die letzten 500 m zu Fuß zur Bushaltestelle. Pünktlich um neun war ich dort.
Der dortige Buseinweiser erkannte mich wieder und bat mich Platz zu nehmen, der Bus käme gleich. Wenn immer an mir vorbei kam hieß es: the Bus is coming. Naja, dachte ich, der Bus kommt bestimmt, aber wann? Die Frage wurde nach einer Stunde des Wartens drängender, aber er sagte immer nur den gleichen Satz: the Bus is coming. Er würde mir Bescheid geben, wenn der Bus kommt und: bleib da sitzen.
Nach zwei Stunden forderte er mich und drei weitere Damen auf, mit ihm zu kommen. Wir gingen die Straße ein Stück runter und da hinten sah ich, wie sich der Bus durch den Verkehr quälte. Bei uns angelangt öffnete sich die Bustür und unter langsamer Fahrt durften wir schnell einsteigen und uns einen der wenigen freien Plätze angeln. Geschafft! Dachte ich. Dann fuhr der Bus doch noch auf den Busparkplatz und eine riesen Menge Menschen stürmte auf den Bus zu und alle kamen in den Bus. Nach einer weiteren halben Stunde ging es dann endlich los.
Aber irgendetwas stimmte nicht. Sollten die Ventilatoren im Bus die von Banna gepriesene Aircondition sein? Und warum war er so voll?
Die Sitzreihen bestanden nicht aus zwei Sitzen rechts und zwei Sitzen links, sondern aus drei Sitzen rechts und zwei links. Ich saß auf der Zweierseite. Der Gang dazwischen war sehr eng und die Menschen standen dicht gedrängt darin. In einer Sardinenbüchse haben die Fische mehr Platz.

Eine Frau in einem Sonnengelben Kleid und in Begleitung eines jungen Mädchens und einer anderen Frau stand neben mir im Gang. Sie machte sich nicht einfach nur breit, sie war es auch. Ihren Ellenbogen hatte ich im Gesicht, und ihren großen, runden Hintern auf meiner Schulter. Während ich dem Ellenbogen auswich, kroch ich meiner Sitznachbarin nahezu auf den Schoß. Diese fand das nicht so toll, obwohl sie dafür gesorgt hatte, dass ich neben ihr Platz nahm, aber soviel Nähe wollte sie zu mir dann wohl doch nicht und machte dem Sonnenscheinkleid neben mir mehrmals klar, sie solle mich nicht so bedrängen. Sonnenschein entschuldigte sich dann mit einem mehrfachen „Sorry“ bei mir, vergaß das dann aber immer gleich wieder. Irgendwann Habenichts sie dann unüberhörbar angepault, sie möge jetzt endlich ihren Arm aus meinem Gesicht nehmen. Auch die um uns rum meckerten deshalb nun mit ihr und endlich war der Arm verschwunden. Jetzt galt es nach, den Hintern von meiner Schulter zu entfernen. Das gelang mir dann endgültig, als ich mich mit ein paar heftigen Schulterstössen gegen das Hinterteil wehrte. Ab nun ging es einigermaßen.
Meiner netten Sitznachbarin, die kein Wort Englisch sprach, hatte ich zuvor einen Kuchen angeboten, den ich vor der Abfahrt gekauft hatte, aber den hatte sie abgelehnt. Bei einem der vielen Haltepunkte, an den Frauen Wasser und alles mögliche essbare anboten, bat mich der Sonnenschein um Geld für eine Flasche Wasser und ich gab es ihr. Sonnenschein, die offensichtlich keine Distanzprobleme hat, kam meinem Gesicht mit ihrem sehr nahe. So nahe, dass ich ihren schlechten Atem inhalieren musste, obwohl ich mich schon abwandte, um mir ein mehrfaches „God bless you“ zuzuraunen…Bald darauf stupste mich meine Sitznachbarin an, sie wolle jetzt doch den Kuchen. Mit einem Lächeln reichte ich ihr die Packung und so mümmelten wir beide unseren Kuchen.
Mit der Zeit leerte sich der Bus etwas, weil immer wieder Leute ausstiegen. Dem Sonnenschein war das ewige stehen offensichtlich nun offensichtlich genug und sie bog ihren Oberkörper nach vorn über und täuschte eine nahende Ohnmacht vor. Sofort musste ein sitzender Mann seinen Platz räumen, damit Sonnenschein sich dort kerzengerade sitzend, von ihrer „Ohnmacht“erholen konnte. Diese Frau war wirklich mit allen Wassern gewaschen.
Was mir allmählich auch klar wurde: dieser Bus war weder super, noch Express. Es war einfach ein Bus.
Gegen 17.00 Uhr war ich dann tatsächlich und endlich in Janjanbureh, wo Banna mich erwartete.

Ja, es gibt sie noch…

die Briefmarkensammler! Deshalb bin ich heute Vormittag nach Brikama gefahren. Die Tage sagte mir jemand, Brikama sei die größte Stadt Gambias. Gleich nach Serekunda. Nach Serekunda fahr ich nicht. In Brikama kenne ich mich, zumindest, was die wichtigen Dinge betrifft, einigermaßen aus. Als Landei bin ich ja eh nicht so für die Stadt. Und wenn ich nach Brikama muss, bedarf es immer ein paar Tage der psychischen Vorbereitung.
Ich hatte ein paar selbstgefertigter Ansichtskarten von zu Hause mitgenommen, um dem Wunsch nach hiesigen Briefmarken nachkommen zu können. In Brikama gibt es weit und breit das einzige Postoffice. Und als Christian und Sus im November zum Rudern hier waren, hatten sie gehört, dass es in Gambia keine Post gibt. Das ist unmöglich. In jedem Land gibt es eine Post, so auch in Gambia. Also schrieb ich heute Morgen schnell irgendwelchen Quatsch und liebe Grüße auf die Karten, damit sie nicht wortlos ihren Empfänger erreichen sollten. Selbst Brikama, der bei Jawla im Rainbow arbeitet und aus Brikama kommt, war sich der Post nicht sicher. Aber es gibt sie. Und nicht nur ein hohles Gebäude, nein, die bis auf einen Augenschlitz freilassende Postangestellte hatte ein Album mit den verschiedensten Wertmarken! Also Briefmarken gekauft, sechs Karten damit beklebt (angeleckt) und schon war dieses Geschäft erledigt. Nun heißt es Warten…ob die Karten auch ankommen. Mal sehen, wie lange das dauert…

Brikama. Eine Stadt voller Leben. So quirlig und soooo voll. Von allem viel zu viel! Zu viel Autos, zu viel Fußgänger, Radfahrer, LKWs, Schubkarrenfahrer, güldene Fliflops für Frauen, zu viel Lärm, zu viel Tomaten, Bananen, Mangos, Stoffe, – einfach zu viel für mich Landei. Es hat mich fürchterlich angestrengt.
Neben der Post ist eine Frau, die Getöpfertes verkauft, und ich brauchte ein paar Blumentöpfe, weil bei der Baum Aktion was zu Bruch ging.
Und Geld wechseln. Der Wechselkurs bei Western Union in Brikama ist unschlagbar. Also wechseln. Abarrak. Sagte er zu mir. Das kriegt sicher nicht jeder Kunde dort gesagt, so wie er aussah….

Und dann noch zur Bushaltestelle. Morgen will ich nach Janjanbureh fahren, und meinen Freund Banna besuchen. Mal sehen, wie weit er mit dem Neubau seiner Lodge und seiner Flussterrasse gekommen ist? Aber ich konnte keinTicket vorab kaufen. Muss morgen zeitig da sein. Momodou wird mich morgen nach Brikama zur Busstation fahren. Es wird heiß sein in Janjanbureh. Dort ist es immer heißer als hier. Vamos a ver.

Ich war noch nie hier

Also, ich war noch nie hier im Juni. Jedenfalls nicht, seit wir hier unser Haus haben.
Juni ist Mangozeit. Ich liebe Mangos, wenn sie so reif wie hier geerntet werden. Sie sind so süß und saftig und egal, wie man sie ist, das Gesicht ist hinterher mit süßem Mangosaft und -fruchtfleischresten verschmaddert. Will man eine Ameisenattacke verhindern, wäscht man sich besser erstmal das Gesicht.
Ich bin diesesmal im Juni und nicht im März/April hergekommen, weil ich unter anderem die Mangos von unserem eigenen Baum essen wollte. Aber erstens gibt es nur wenige Mangos am Baum, und die sind noch nicht reif. Die Mangobäume blühen im Dezember. Im letzten Dezember gab es starke Stürme, die an den Mangoblüten so sehr gerüttelt und geschüttelt haben, dass sie abbrachen. Das erklärt die wenigen Früchte an den Bäumen.
Juni ist der Monat vor Beginn der Regenzeit. Da wird alles Unkraut von den Feldern entfernt und verbrannt. Ich kenne die Ackerflächen um unser Grundstück herum eigentlich nur verkrautet, denn im Winterhalbjahr wird mangels Wasser nicht geackert. Aber jetzt ist alles so schier, so klar und aufgeräumt.

Wenn dann der erste Regen gekommen ist, und den Boden etwas aufgeweicht hat, wird der Boden bearbeitet und gesät.
Die meisten Bäume sind ganzjährig grün, aber jetzt sind sie nicht mehr grün, sondern braun vom Staub, der sich über die Monate der Trockenzeit auf sie niedergelegt hat.

Aber es blüht auch nicht mehr viel. In unserem Garten haben sich ja alle Blühpflanzen gegen mich verbündet. Ich nehme an, sie blühen heimlich, wenn ich nicht da bin. Kurts Avocadobäume hingegen machen sich prächtig. Der erste, den er zu Hause gezogen und dann hier eingepflanzt hat, ist jetzt über zwei Meter hoch. Sie brauchen zehn Jahre, bis sie das erste Mal Früchte tragen. Da hat er noch ein paar Jahre Zeit…

Filmszenen

Vorhin habe ich endlich mit Kurt skypen können. Endlich, weil ich die letzten Tage keinen Internet Empfang hatte. Ich war von der Welt abgeschnitten. Das war doof, denn hier passierte so viel, und ich konnte es ihm nicht erzählen…

Denn gleich am Donnerstag, meinem ersten Tag hier, hatte ich mit Pateh und Ali ein Gespräch wegen des Sonnenstandes. Danach bin ich Einkaufen gefahren (bereits berichtet) und dann war er auch schon hier, der Fischermann, der aus dem Senegal kommt, oder etwas genauer: aus der Casamance. Soviel Zeit muss sein. Die fruchtbare Casamance im Süden Sengals strebt schon seit Jahrzehnten die Unabhängigkeit vom trockenen, sandigen Norden Sengals an und immer mal wieder gibt es bewaffnete Zwischenfälle. Für den Norden ist die Casamance der Gemüseacker, die Speisekammer, sozusagen.

Jedenfalls verletzte sich der Gute mit unserer sehr scharfen Fiskars Axt am Schienenbein und es blutete. Er wickelte einen alten „weißen“ Lappen drüber. Als ich dazu kam, machte mich Pateh auf das Missgeschick aufmerksam und ich schaute an dem Mann hinunter, bis ich den „Verband“ sah, und das Kopfkino begann. Eine sehr ähnliche Scene kommt im Film „Jenseits von Afrika“ vor, und ich hatte Mühe, angesichts des großen Leids, das da vor mir stand, ernst zu bleiben. Alles, was jetzt geschah, kam eins zu eins in dem Film vor. Wer ihn kennt, braucht nicht weiterlesen.
Ich holte also Desinfektionsmittel und Verbandszeug aus dem Haus, säuberte ihm die Wunde, legte eine Kompresse drauf, verband das ganze mit einer strahlenweisen Binde und er strahlte. Pateh meinte süffisant: jetzt sieht er aus, als käme er frisch aus dem Krankenhaus. Am nächsten Tag kam der Verletzte für die Restarbeiten wieder. Aber bevor er irgendwas anfing, zeigte er mir erstmal seine Verletzung, die jetzt wirklich gut aussah. Es hätte noch etwas gepichelter in der Nacht, aber jetzt sei alles gut.

Im Film stellt Karen Blixen ihren Kandidaten als Koch ein. Da hab ich aber grade keinen Bedarf…

 

 

 

Die Solaranlage

Was haben wir alles bedacht beim Aufstellen unserer PV Anlage….erst stand sie im Schatten des Hauses. Das das suboptimal ist, da kamen wir schnell drauf. Also geschaut, wo ist die Sonne eigentlich? Ach so, da kommt sie hin! Okay, dann müssen wir den 10 m hohen Bambus entfernen. War mir als Schlangen- und Skorpionenest sowieso ein Dorn im Auge. Also wech damit. Dann wurde sie im 45-Winkel der Südsonne zugewandt. Da meldete sich mein Tropenwasserwirschafterinnen (Ge)wissen, das mal Klimakunde im Studium hatte. Das sagte mir: zu steil! Das muss flacher. Der Mann konnte ob meiner guten Argumente überzeugt werden, und sie wurde dann in einem sehr flachen Winkel, dem Breitengrad angepasst aufgestellt. Super, sie produzierte Strom. Das war damals im Winterhalbjahr, bei niedrigem Sonnenstand.
Nun meinte Momodou schon auf der Fahrt vom Flughafen nach Hause, der Baum ist im Weg. Die PV kriegt Max. 3 Stunden Sonne am Tag. Und ich dachte so: ach, was ist das denn jetzt wieder für ein Quatsch…und sagte erstmal gar nichts. Hier angekommen Pateh und Ali: die PV kriegt nicht genug Sonnenlicht. Und ich so: habt ihr Strom, Licht im Haus? Ja. Könnt ihr eure Handies aufladen? Ja. So what? Naja, sie könnte mehr Strom produzieren. Die meiste Zeit des Tages steht sie im Schatten des Baumes.- Ach, denke ich, wie soll das denn jetzt plötzlich sein? Stellte mich mit dem Rücken gen Süden, schaute nach oben. Huch, wo war die denn jetzt? Überm Baum! Okay, der Baum bringt eine Menge Schatten. Die Jungs hatten genau beobachtet, wo die PV Anlage nachmittags noch kurz mal Sonne ab bekam. Und als ich nach meiner unten beschriebenen Supermarktfahrt wieder nach Hause kam, saß ein Fremder bei Pateh und Ali. Ein Bekannter von Pateh, der mit einer Axt umgehen kann. Schnell noch einen Preis ausgehandelt, aber auf Französisch, damit Pateh das nicht mitbekommt. Der Typ ist Fischer aus dem Senegal. Und schon machte er sich an die Arbeit. Teilweise axte der Typ einhändig, was auf mich sehr großen Eindruck machte. Jetzt ist der Baum ordentlich zurückgestutzt und es kommt deutlich mehr Sonnenlicht auf die Anlage.
Tatsächlich verläuft die Sonne hier unterschiedlich, wie mir klar gemacht wurde. Mal läuft sie da lang, und manchmal wo anders. Ich bestätigte den Sonnenbeobachtern, das sie auch in meinem Land unterschiedliche Wege einschlägt.
Ja, das hatten wir damals trotz geballten Ingenieurswissens nicht bedacht, dass es mit dem Sonnenstand so seine Tücken hat.

Und Momodou sagte noch…

…“ich glaube, Deine Autoversicherung und Strassensteuer sind abgelaufen. Ich erneuerte Dir das morgen“. Ach ja, Momodou, da hast Du wohl recht. Aber jetzt will ich darüber noch nicht nachdenken. Bin zu müde.

Hätte ich mal tun sollen! Hab ich aber nicht. Und so setz ich mich heute Vormittag ins Auto und nach einigen Kilometern fallen mir Momodous Worte wieder ein. Nun bin ich aber schon so weit gefahren – wird schon gut gehen. Ach ja, meinen Führerschein und Pass hätte ich auch ruhig einstecken sollen. Tja, zu spät. Da war sie, die Polizeikontrolle. Dem freundlichen Polizisten fällt direkt auf, dass meine Steuerplakette vom letzten Jahr ist. Deine Papiere? Ja, klar, hier ist die Versicherungspolice. Er schaut sich die an und fragt: haben wir jetzt Mai? Ich sag, ja! Ach nee, sage ich, wir haben heute schon den 1. Juni! Hmmm, meint er. Guck mal, was steht denn hier? MÄRZ!!!

Holy shit, denke ich und gestehe auch sogleich, dass ich auch meine Driving  licens und meinen Pass im Haus vergessen habe. Oh, das ist zu viel, meint er. Dann musst Du jetzt mal mit nach drinnen kommen, zum Officer. Ich erkläre ihm noch, dass ich erst gestern Abend spät von Deutschland hier angekommen bin und nur eben zum Supermarkt wollte, um was zum Essen einzukaufen. Das erklärt er freundlich dem Officer und ich darf mich setzen. Hinter dem Officer baumeln Handschellen am Fenstergitter. Ich scherze, er möge diese ob meines verantwortungslosen Verhaltens doch aber wohl nicht einsetzen. Er grinst nur….und so beginnt der Officer einen kleinen Chat mit mir. Woher ich komme, wohin ich will und warum ich denn so gänzlich illegal am Straßenverkehr teilnehme. Naja, ich erkläre ihm meine Situation und entschuldige mich mehrere Male ausdrücklich, dass so ein Verhalten auch in meinem Land vollkommen inakzeptabel sei und ich auch nicht weiß, was mich da getrieben hat, außer Hunger. Hatte ja noch gar nicht gefrühstückt.
Und wie ist es so in Deutschland? Ach, sage ich, dass ist jetzt die schönste Jahreszeit, alles ist jetzt nach dem langen Winter wieder grün, alles blüht und die Luft duftet…er wolle auch mal nach Deutschland kommen. Ja, sage ich, das würde mich freuen, aber leider machen es die Deutschen und europäischen Behörden u.a. Afrikanern zu meinem größten Bedauern eine Einreise unmöglich, und ich erkläre ihm die ganzen Probleme, die Europa wegen der ganzen Flüchtlinge aus Afrika hat, das die Behörden in Europa und Deutschland ihnen Unterkunft und Sprachkurse bezahlen, ich mit einigen anderen sudanesischen Flüchtlingen dabei geholfen habe, in Deutschland Fuß zu fassen, u.s.w., u.s.w. Aber wie wird es denn jetzt hier mit mir weitergehen? Er erklärt mir drei Möglichkeiten, von denen ich allerdings nur eine wirklich verstehe, und das ist die mit dem Knast, in den man mich bringen könne, wenn ich nicht kooperiere. Nunja, sage ich, diese Möglichkeit würde ich gern ausschlagen. Und erkläre ihm, dass ich in meinem Land für mein vollkommen unentschuldbares Fehlverhalten eine Strafe zahlen müsste, dafür dann einen Beleg bekäme, und das war’s dann. Allein, dass hat ihn nicht all zu sehr interessiert, so breitbeinig wie der Bulle (im übertragenen Sinne) vor mir saß. Dann wieder schweigen. – Was machst Du denn so nach Feierabend? Frage ich, und er schaut mich erstaunt an. Oh weh, hat er da jetzt was missverstanden? Na, ich meine, hast Du Hobbies? Machst Du Sport? Und er erzählt mir, dass er Kinder im Fußball trainiert, an Laufwettbewerben teilnimmt und gelegentlich ins Fittnesscenter geht. Jau, so siehst Du mir wohl auch aus. – wieder schweigen. Tja, sage ich, ich würde gern einkaufen fahren, weil ich echt hungrig bin. Wie geht es denn jetzt weiter? Ob er mich mal in Sanyang besuchen kann, will er wissen. Große Güte, was hab ich davon denn zu halten? Und ich sag: na klar doch, sehr gerne, ich würde mich freuen! Nun sind wir zu dem Punkt gelangt, wo er meine Nummer will. Ich erkläre ihm, dass ich die noch nicht im Kopf habe. Bin ja gestern erst angereist, neue Simkarte und so. Also schicke ich ihm eine WhatsApp an seine Nummer. Jetzt hat er meine. Ich darf gehen.

Das mit dem Nummerntausch war eine gute Idee, denn es blieb nicht bei dem einen Polizeiposten. Der nächste war eine Kontrolle vom Militär, die interessieren sich eher für Waffen und Drogen und winken mich durch. Beim nächsten Polizei Checkpoint winkt die eine Polizisten das Auto vor mir aus dem Verkehr, die andere ist mit dem Gegenverkehr beschäftigt. Puh, brauch ich meinen neuen Polizeifreund Mussa doch nicht anrufen. Dann zum Supermarkt.

Auf dem Rückweg waren die beiden Polizistinnen wieder mit anderen Verkehrsteilnehmern beschäftigt, die Militärs winkten mich durch und mein neuer Freund und seine Kollegen machten wohl Mittagspause.

Zu Hause angekommen, musste ich das erstmal alles Pateh erzählen und seine erste Frage war: wieviel? Nichts! Er kam aus dem Staunen nicht mehr raus.