Ich glaube, ich habe schon Menschen von Riga schwärmen hören. Aber das kann eigentlich nicht sein. Es ist einer der hässlichsten Orte, die ich bislang gesehen habe. Riga ist mit rund 600.000 Einwohnern keine so große Stadt, aber der Ballungsraum mit weiteren rund 500.000 Einwohnern macht ihn zum größten in den baltischen Ländern. Die Einfahrt ins Zentrum von Riga zieht und zieht und zieht sich, vorbei an Dutzenden und Aberdutzenden Wohnblöcken aus Sowietzeiten – grau, verkommen, vernachlässigt, vergessen, verarmt, hässlich. Die Eingangstüren kleine dunkle Löcher mit Griff – allein beim Anblick dieser Eingangstüren, durch die tagtäglich so viele Menschen ein- und ausgehen, steigt mir der Geruch von alten, modrigen, muffigen, bestenfalls Bohnerwachstreppenhäusern, Urin und Kohlsuppe in die Nase. Hoffentlich muss ich niemals so ein Gebäude betreten! Dicht an dicht stehen sie, graue Plattenbauten, Balkone, auf die sich schon seit langer Zeit niemand mehr getraut hat, mit verrosteten Geländern und schwarz verdreckten Plastikverkleidungen, in denen ich mir ein glückliches Leben einfach nicht so richtig vorstellen kann. Zwischen den Klötzen Gras, ein paar Birken, immerhin. Keine Bank, kein Blumenbeet, Kinder gibt es hier entweder nicht, oder sie wurden vergessen. Kein Platz zum Spielen.
Im Zentrum: Glanz und Gloria, moderne Bauten. Alles Fake? Ja!
Wehmütig denke ich an die schönen Häuser in Skandinavien, mit den großen, weißen, von innen beleuchteten Sternen, den Schwibbögen, in jedem einzelnen Fenster, draußen Lichterketten in Bäumen und auf Mauern, die die wenigen hellen Stunden im Winter vergessen machen sollen und durch die lange Winternacht helfen. Wie sah das alles so schön aus im Schnee, der hier immer weiß war. In Riga ist der letzte verbliebene Schnee schwarz.
Auf dem Weg über Land an die Ostseeküste. Immer noch in Lettland. So viele vergessene, verlassene, verkommene, Gehöfte und Häuser. Das tut mir im Herzen weh. Die schönste Landschaft, aber hier, so abgelegen, will oder kann man nicht mehr leben. Lieber in Riga, im grauen Plattenbau mit schwarzem Schnee.
Wir sind jetzt in Liepaja, Lettland, am Ostseestrand. Hier bleiben wir bis übermorgen. Nach all den Städten, Helsinki, Tallin, Riga, muss ich an die frische Luft, muss den Horizont sehen, muss durchatmen.