von Andrea
Sehr früh morgens wache ich vom Gebet der Muhezin auf. Es gibt hier einige Moscheen in der Umgebung, und Dank Lausprechertechnik gelangen die Gebete bis in unser Schlafzimmer. Das erste Nachtgebet verschlafen wir in der Regel, aber das nächste um fünf Uhr, jetzt um sechs Uhr, oft nicht. Das ist dann, als würde sich ein Schirm aus gesprochenen und gesungenen Gebeten über uns, über den Ort wölben, und man fühlt sich irgendwie gut aufgehoben, schläft dann wieder ein. Ich muss das in der Nacht nicht haben, aber dass ist hier, im muslimischen Gambia nun mal so, und das ist in Ordnung.
Anders sind diese merkwürdigen Veranstaltungen Freitagabends, manchmal auch Samstagabends. Wie gestern. Ich habe immer vermutet, dass es sich um irgendwelche irrlichternder politischer Minderheiten handelt, die unerträglich hasserfüllte Mitteilungen per Lautsprecheranlage auf ausgesprochen aggressive Art und Weise unters Volk bringen wollen. Gemischt mit seltsam klingender Musik und Gesang aus gestörten Kehlen und DJ-Gesabbel. Einfach unerträglich. Mich macht das regelrecht aggressiv.
Gestern Abend sind Kurt und ich noch ein wenig durch die Nachbarschaft spaziert und kamen auch schon bald an der hiesigen katholischen Kirche vorbei. Luftlinie keine fünfhundert Meter von uns entfernt. Da war ein Chor am üben und es klang so heimisch! So wie früher zu Hause auf dem Hof meiner Eltern. Nebenan die Kirche und einmal übte der Chor, einen anderen Tag in der Woche der Posaunenchor. Das ist für mich Dorf, sowas wie Heimat, Zuhause, da gehör ich hin, da komm ich jedenfalls her. Und das Üben des Chors in der katholischen Kirche hier in Sanyang erinnerte mich an früher.
Kurt und ich spazierten weiter durch die Gemeinde und kamen zu Hause, also in unserem Haus in Sanyang an, und machten es uns gemütlich. Für diesen Urlaub hatten wir beschlossen, keine Nachrichten übers Internet zu schauen. Wir hatten genug Belastungen, GERDA, unser heissgeliebtes Wohnmobil war ausgebrannt, im Februar hatten wir beide mit einer Grippe zu kämpfen, dazu ein Besuch einer kleinen Sonde an meinem Herzen, wir wollten einfach Ruhe.
Und dann saßen wir nach unserem Spaziergang bei unserer Literatur, und dieser Chorgesang fing an. Aus der Kirche. Und dann kam irgendwann die Predigt, ein Zwiegespräch zwischen zwei lauten Männerstimmen, aggressiv und einschüchternd, schreiend, schimpfend – beängstigend und klingend, als seien diese Stimmen voller Hass und gegenseitiger Respektlosigkeit. Schrecklich! Einfach fürchterlich! Das alles kam aus der katholischen Kirche. Wäre ich eine Ungläubige, ich würde mich da nicht hin trauen! Aber auch als gläubiger Mensch, der oder die ich bin, macht mir das Geschehen dort eher Angst. Komische Glaubenswelt.