Von Andrea
Als ich vor neun Jahren das erste Mal in Gambia war, hörte ich von überall her gesagt „wellcome at the smiling coast of Africa“ und „it‘s nice to be nice“. Von diesen schönen Mustern hat Sanyang sich nun erstmal verabschiedet.
Ungefähr drei Wochen vor unserer Ankunft haben sich hier schlimme Dinge ereignet. Wir wussten grob davon, eine Freundin hatte uns eine Audio-Info aus dem Radio geschickt. Aber wie schlimm es wirklich war, erfahren wir nun nach und nach.
Es fing damit an, dass ein sehr großer, kräftiger Senegalese eine weiße Frau in ihrem Haus in Strandnähe überfallen wollte. Sie konnte aber zum Glück zu Nachbarn fliehen. Die Nachbarn riefen die Polizei und gleichzeitig machten sich zwei Brüder auf den Weg zum Haus der Frau, um den Dieb zu stellen. Der war den beiden Brüdern aber wohl in jeder Hinsicht überlegen. Er hatte ein Messer bei sich, mit dem er den einen der beiden Brüder in Hals und Bauch stach. Der Mann starb noch an Ort und Stelle. Dem anderen Bruder zerstach er das Gesicht. Die Polizei konnte den Senegalesen überwältigen und brachte ihn nach Brikama ins Gefängnis. Das alles geschah am frühen Morgen.
Es muss sich hier im Dorf ziemlich schnell herum gesprochen haben und schon bald machte sich ein wild gewordener Mob aus überwiegend jungen Leuten auf den Weg zur Polizeistation, um den Senegalesen zu lynchen. Als sie erfuhren, dass der schon in Brikama sei, hat der Mob vor Wut die Polizeistation in Brand gesetzt.
Aufgebracht, wie der Mob war, zog er weiter zum Strand. Hier, direkt neben Jawlas Rainbow Lodge liegen die Boote von hunderten von Fischern. Viele von ihnen sind aus dem Senegal und nicht gern gesehen im Dorf nach dem Motto „unsere Hühner treten wir selber“, aber auch, weil die Senegalesen anscheinend mit der verhassten Fischmehlfabrik zusammenarbeiten, sind sie in Sanyang nicht gut gelitten.
Die senegalesischen Fischer wurden zum Glück gewarnt und sind rechtzeitig über den Strand Richtung Süden und Norden weggelaufen, diejenigen, die mit ihren Booten auf dem Meer waren, wurden über Handys gewarnt, in einem anderen Dorf an Land zu gehen.
Als der Mob den Strand erreichte, waren nur noch die Frauen und Kinder dort, die man in Ruhe ließ, aber jedes senegalesische Boot wurde angesteckt und verbrannt. Der Mob benutzte dabei Brandbeschleuniger wie Diesel oder ähnliches. Dann machten sie sich auf den Weg zur Fischfabrik und steckten sie an. Die Fischfabrik ist anscheinend gut mit Überwachungskameras ausgestattet und anhand der Aufzeichnungen konnte man viele Leute identifizieren.
Auf seinem Weg zurück ins Dorf räumte der Mob die Häuser der senegalesischen Fischer aus und setzten ihr gesamtes Hab und Gut auf den Straßen in Brand.
Polizei und Militär kamen nach Sanyang und hat so gut wie alle jungen Leute mitgenommen und in den Knast gesteckt. Diejenigen, die klar machen konnten, dass sie mit dem Mob nichts zu tun hatten, sind frei, andere, die auf den Videos der Sicherheitskameras der Fischfabrik identifiziert werden konnten, warten auf eine Verhandlung und etliche sind in den Südsenegal geflohen, wo sie sich noch immer aufhalten.
Die senegalesischen Fischer leben derzeit wie Flüchtlinge und sind in einer Schule weiter weg von hier untergebracht. Wie es mit ihnen weitergeht, ist im Moment wohl ungewiss.
Derartige Ereignisse sind mir nicht ganz fremd. Während meiner Zeit in Nepal, wie auch in Togo hatten sich vergleichbare, oder eher noch schlimmere Dinge ereignet und mich fassungslos gemacht. Die Dinge beruhigen sich mit der Zeit wieder. Aber es zeigt sich auch, dass tief im Inneren der Menschen über lange Zeit etwas schwelt und nur auf einen Auslöser wartet, um es explodieren zu lassen. Es macht einen fassungslos, mit welcher Brutalität so ein Mob vorgeht, der sich aus Menschen zusammen setzt, die man zum Teil vielleicht sogar kennt und immer als freundlich und hilfsbereit erlebt hat.
Aber nicht nur Kurt und ich sind fassungslos, auch die Menschen, die uns davon erzählt haben, bzw. mit denen wir über diesen Tag gesprochen haben, sind zutiefst betroffen.