Die Sanyanger, ein feierfröhliches Volk, Sylvester und Jungbullen

Was die nicht alkoholtrinkenden Moslem den weinseligen Ungläubigen voraus haben ist, dass sie nicht unter Kater, dicken Köppen oder sonstigen Ausfällen nach einer durchfeierten Nacht leiden, sondern nach wenigen Stunden tiefen Schlafes aufwachen, frisch sind wie die Fische im Wasser und einfach weiter feiern.

Das haben wir in dieser Zeit vom Weihnachtswochenende bis Neujahr erfahren dürfen. Jeden, mitunter auch nur jeden zweiten Abend ging in Sanyang dermaßen die Post ab, dass wir ein paar Mal hätten beschwören können, dass die gigantischen Lautsprecherboxentürme direkt unter unserem Fenster standen. Auf uns gerichtet! So laut war es. Und man feiert nicht nur gern und häufig, sondern auch lang, gern bis kurz bevor morgens um halb fünf die Muhezine über ihre schnarrenden, den Ton verzehrenden, völlig ausgelutschten Lautsprecheranlagen zum Gebet rufen. 

Das würde erst recht nicht an Sylvester anders sein. Da waren wir uns sicher. Und dann kam mir eine ganz verwegene Idee. Und in verführerischem Ton hauchte ich meinem Kurt einen sensationellen Vorschlag ins Ohr: „Schatz, lass uns über Sylvester wegfahren. Es gibt da eine Lodge, die liegt ganz einsam am Fluss, weit weg vom nächsten Ort. Es sieht dort immer so schön und friedvoll aus! Wir könnten dort eine wunderbar ruhige, romantische Sylvesternacht verbringen. Was meinst Du?“ möglicherweise zogen blitzartig Erinnerungen an voreheliche Schäferstündchen in Kurts Erinnerungs- und Energiefeld auf, jedenfalls kam die Antwort sofort und es war ein klares, strahlendes „Jahhhhh!“

Also Köfferchen gepackt, Badetasche geschnappt und ab die Post! Nach 45 Minuten waren wir am Ziel. Die Stala Lodge liegt wirklich sehr abgelegen. Man fährt eine Weile durch trockenliegendes Überflutungsgebiet, so ein bisschen wie durch die Wüste, immer irgendwelchen vorhandenen Spuren folgend. Dann kamen wir an. Lamin, der Chef, brachte uns zu unserer kleinen, romantischen Rundhütte, etwas abseits gelegen vom zentralen Platz der Unterkunft und direkt am Fluss. Mit kleiner Terrasse mit Tisch und zwei Stühlen vor der Tür. Ach wie schön! Das Zimmer war nett, das Bad nicht so winzig wie sonst meist üblich in den günstigen Unterkünften, die Aussicht auf den Fluss und die Vogelwelt fantastisch, gegenüber das Ufer der Casamance, dicht mit Mangroven bewachsen. Die Nacht schliefen wir in der Stille der Natur tief und fest.
Und heute ist Sylvester. „Es kommen ein paar Leute“, sagte Lamin, „um zwölf wird sicher etwas geböllert, um eins ist die Musik dann aus. Unsere Gäste sollen schließlich nicht disturbed werden.“

An Weihnachten kamen wir an den Strand bei Jawla und hatten unsere Strandliegen eingenommen. Die Stimmung war urlauberisch. Hier Gemurmel, dort Gemarmel, von irgendwoher drangen leise Reggae Rhythmen zu uns herüber, als am späten Nachmittag plötzlich ein sehr illustres, äußerst attraktives Grüppchen Menschen den Strand von der Bar her überquerte und sich in der ersten Reihe am Strand ein paar Liegen zusammenstellte. Dieses Grüppchen fröhlicher Menschen strahlte eine unübertreffbare Lebensfreude aus. Sie ließen sich auf den Liegen nieder, wollten gern beieinander sein. Sie schnatterten und lachten ohne Pause und auch die ein oder andere mitgebrachte Rauchware machte ihre Runde. Aus ihrem auch mitgebrachten, nicht sehr kleinen Ghettoblaster erscholl die schönste Soulmusik und manche Texte sangen sie alle mit und tanzten dazu. Es war ein Bild purer Harmonie. Und nach zwei Stunden verschwanden sie wieder. Das empfand ich als sehr schade. Es ging eine einzigartig fröhliche und friedvolle, lebensbejahende Stimmung von ihnen aus, und sie waren einfach schön anzusehen.

Es war wohl eine Gruppe Jamaikaner, die in UK leben und hier nach Gambia zu ihren Wurzeln zurückkehrten, zumindest für die Zeit eines Urlaubs. Viele Jamaikaner haben gambische Wurzeln. Deshalb ist auch der Reggae hier die vorherrschende Musikrichtung.

In der Stala Lodge kam am Sylvestermorgen ein Auto auf den zentralen Platz gefahren und parkte ganz selbstverständlich vor unserer Nachbarhütte (und nicht wie wir auf dem „Parkplatz“ (please, Park your car correctly)) die etwas größer war als unsere, wohl eine Familienhütte. Sie hatten zwei Kinder dabei. Es waren Libanesen. Der Vater und die Kinder begrüßten uns freundlich, die Mutter verschwand ungesehen im Zimmer. Der Vater lud unzählige Angelrouten aus dem Auto und verfrachtete sie in sein Boot am Flussufer. Außerdem kleinere und größere Kühlkisten, die unterschiedlich schwer zu sein schienen, Sechsergebinde großer Wasserflaschen. Dann setzte er sich in sein Boot, startete den Motor und verschwand flussaufwärts. 

Kurt und ich tingelten so durch den Tag, machten mit dem Taxiboot einen kleinen Ausflug zum Nachbarort, saßen dann lange am Fluss, betrachteten die Boote, die kamen und gingen, die vielen Vögel, die Kingfischer und verschiedensten Reiherarten, die sich auf dem gegenüber liegenden Flussufer nach Nahrung umsahen, und später mit der App SkyView Lite die Sterne über uns, allen voran Jupiter, der hell wie immer leuchtete, und verschiedene Sternenbilder. Dann war das Buffet eröffnet und wir gesellten uns mit unseren vollen Tellern zu Thomas, der von Hannover mit seinem umgebauten Unimog bis hierher gefahren war. Wir hatten einen schönen Abend mit interessanten Gesprächen über Autos und gegen elf gingen wir zu unserer Hütte zurück. Wir waren alle müde und bis Mitternacht aufzubleiben war keinem von uns so wichtig. 

Zurück bei unserer Hütte hatte sich die Libanesenfamilie auf zwanzig, dreißig Personen vergrößert, einschließlich einiger kleinerer Kinder. Die Frauen verschleiert, die Männer nicht. Sie hockten alle eng beieinander vor ihrer Hütte und die Welt um sie herum schien sie nicht sonderlich zu interessieren.

Um zwölf sollte Knallerei kommen und um eins wollte Lamin die Musik abstellen. Das fanden wir nicht nur gut, sondern auch nachvollziehbar, bei den ganzen Kindern. Und tanzen tat von denen sowieso niemand. Andere Gäste waren nicht da. Also eine ganz beschauliche, ruhig-romantische Sylvesternacht.

Um zwölf wurde Geballert. Ein paar gewaltige Chinaböller explodierten so gewaltig laut und hell, dass mir im Bett Angst und Bange wurde. Schließlich sind es da draußen Libanesen…Aber dann war die Knallerei vorbei und ich dachte: „Noch eine Stunde, dann ist die Musik aus und Du kannst schlafen.“

Gegen viertel vor eins hörte ich Männerstimmen direkt vor unserem Fenster. Weil sie nicht verschwanden schaute ich hinaus, was da los sei und da standen ein paar der libanesischen Männer vor unserem Fenster und quälten offensichtlich ein Tier, es sah aus wie ein Affe, dan sie am Schwanz festhielten.

Sehr, sehr aufgebracht rannte ich raus und was ich sah war nicht ein Affe, der gequält wurde, sondern ein Jungbulle, dem man unter unserem Fenster gerade die Kehle durchschnitten hatte. Mit meiner Taschenlampe erhellte ich diese schreckliche Szene und schrie sie an, ob sie denn wohl total irre geworden sind, und dass sie dieses Tier von unserer Hütte wegschaffen sollten. Die vollkommen überraschten Schlächter standen im Lichte meiner Taschenlampe wie angewurzelt da und starrten mich an, als wäre ich ein Geist, eine Erscheinung aus dem Off. Als ich dann das lange, blutverschmierte Messer in der Hand des Einen sah, entschied ich mich, Lamin zu rufen. Zusammen mit Lamin ging sehr schnell zurück zu dem Schauplatz und Lamin hatte mit seinen kurzen Beinen Last, mit mir Schritt zuhalten. Zurück am Tatort hatte man das noch immer nicht tote Tier etwas von unserer Hütte weggezogen, aber ich schimpfte alles, was mein englisches Vokabular hergab und Lamin immer nur: sorry, sorry. Und stand da wie ein begossener Pudel vor unserer Zimmerterrasse. Ein dreifaches sorry war hier irgendwie nicht mehr genug. Und erst recht nicht, als die Libanesen eine halbe Stunde später zwischen unseren beiden Hütten ein Feuer entfachten, das Tier auseinander hackten und an zu kochen fingen, laut erzählend, die Kinder kreischend und tobend dazwischen.

Um viertel vor zwei beschlossen Kurt und ich unsere Sachen zu packen und nach Hause zu fahren. Die würden bis zum Morgen kochen und essen und feiern und quatschen, das war absehbar. Wir hatten einfach von allem genug wollten nur noch weg von hier. Deshalb packten wir unsere Sachen, legten ein paar Scheine für Lamin aufs Bett und verschwanden mitten in der Nacht. Von diesem romantischen Ort.

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