Verlust der Wahrnehmung für das eigene Sein

Von Andrea

Gestern war ein schwieriger Tag. Wir hatten in Dakhla keinen Campingplatz gefunden und übernachteten auf einem Stellplatz für Wohnmobile. Es gibt hier viele europäische Rentner, die an dieser malerischen Bucht den Winter verbringen. Dieser Stellplatz hat allerdings weder Wasser, oder gar Dusche oder Toilette. Unsere Erfahrungen, die wir bei der Rallye Dresden-Banjul machen durften, sind in solch einer Situation hilfreich und deshalb war das alles auch erträglich. Am nächsten Morgen mit einem feuchten Waschlappen durchs Gesicht, fertig. Aber nach drei Tagen wünscht man sich dann doch eine Dusche, weil insbesondere der Kopf anfängt zu jucken.

Nach stundenlangem Gewese am Grenzübergang von West Sahara (Marokko) nach Mauretanien steuerten wir bei untergehender Sonne den Campingplatz vor Nouadibouh an. Der ist sehr neu. Wir wurden vom Betreiber eingewiesen und standen auf einem schönem Plateau. Der Mann zeigte Kurt auch gleich, wo Dusche und Toilette waren, und Kurt kam schwärmend wieder! Eines der kleinen Gästehäuser durften wir für unsere Hygienemaßnahmen nutzen, mit gefliestem Fußboden und ganz schick und schön. Die Warmwasserkollektoren auf dem Dach eines jeden Bungalows lies ein fanatastisches Duscherlebnis erahnen und meine Vorfreude auf diesen Körper- und Kopf reinigenden Ritus wuchs ins schier Unermessliche.

Und dann raffte ich meine frischen Anziehsachen, Handtuch und Kulturtasche zusammen, und ging zum Bungalow No. 7. Das Wohn- und Schlafzimmer war wirklich schön, mit kuscheligen Decken auf dem Bett. Die Freude darüber, dass ich dieses nette Zimmer ganz für mich alleine nutzen konnte, um mich nach der ausgiebigen Dusche zu pflegen, einzucremen und was zur allgemeinen Körperhygiene eben so dazu gehört, war riesengroß!

Die Dusche war mit Natursteinplatten ausgelegt und die Duschwanne aus dem selben Material gemauert. Die Dusche hing an einer Halterung an der Wand, so wie man es sich das wünscht, aber leider oft nicht vorfindet. Daneben das Clo, weiß und sauber. Allein der Geruch, der den Raum erfüllte, lies auf Vergessenes im Clo schließen. Deckel hoch und tatsächlich, drei bis fünf meiner Vorgänger/innen hatten wohl vergessen zu spülen. Naja, das war ja kein Problem. Eben ziehen, und alles ist gut. Aber der unauffällige Rinnsal, der dem Spülkasten entrann, hatte einfach nicht die Macht, diesen Braten durch das Rohr zu befördern. Dazu hätte es wohl eher einer 20-Liter-Schwallspülung bedurft. Aber die war nicht in Sicht, also Deckel zu, Nase zu, Dusche an.

Der Wasserstrahl aus der Dusche war eher auf Sparsamkeit eingestellt. Und just, als ich meine Haare schön eingeschäumt hatte, gab er seinen Dienst gänzlich auf. Kein Wasser mehr. Meine Kameraden saßen weit entfernt und frönten dem Pastis, die brauchte ich jetzt nicht belästigen. Helfen hätten sie mir eh nicht können. Also Handtuch um den Körper gewickelt, in den kalten Wind nach draußen, und den Chef gerufen. Es dauerte einige Zeit der Ruferei, bis er erschien. Er schickte mich in Bungalow No. 8. Dort gäbe es noch Wasser. Also raffte ich all meine Sachen zusammen und begab mich in Bungalow No. 8. Wasser gab es hier noch, aber keinen Strom. Kein Strom, kein Licht. Dafür aber einen Handtuchhaken in der Dusch, an den ich meine Taschenlampe hängen konnte.

Die große Vorfreude war aber leider verflogen und ich kehrte zu meinen Kameraden zurück und erledigte dort notdürftig den Rest der Körperpflege. Die Kameraden sind’s gewohnt und ließen mich kommentarlos gewähren.

Es hätte so schön sein können…nach drei Tagen ohne Dusche, in immer dem selben T-Shirt, mit klebriger Haut vom vielen Schwitzen, das bleibt ja nicht ganz ohne Folgen. Der Punkt des sprichtwörtlichen „Nase voll haben’s“ ist erreicht, wenn ich mich selber riechen kann. Was es da zu riechen gibt, ist aber nicht angenehm. Also tatsächlich mag ich mich so nicht mehr riechen. Aber es ist ja mein Geruch?! So rieche ich. Das ist doch o.k., oder?

Heute Morgen habe ich für meinen Toilettengang den Sand gewählt. Klappspaten und Clopapier geschnappt und los. Ein kleines Loch geschaufelt, Spaten in den Sand und als Clopapierrollenhalter missbraucht, Blick auf die Lagunge und der aufgehenden Sonne entgegen, frische Morgenluft. Schöner kann ein Tag kaum beginnen. Und dann passiert es. Es fängt an zu riechen. Um ehrlich zu sein, zu stinken. Boa, was ist denn hier los?! Bin das auch ich? Kann das sein? Ich, beziehungsweise meine Ausscheidungen verbreiten einen derartigen Gestank? Liegt es an mir? Am Essen? Am Trinken? Bin es einfach nur ich?

Tatsächlich passiert zu Hause mit unseren Toiletten nichts Vergleichbares. Alles landet direkt im Spülwasser der Toilette und hinterlässt nur in schweren Ausnahmefällen einen schlimmen Geruch, der aber nach dem Lüften sich in der Atmosphäre schnell verteilt. Das ist es, alles ist darauf ausgerichtet, das wir uns selber nicht ehr riechen, nicht mehr wahrnehmen. Wird alles schnell weggespült. Ab in den Gulli damit. Zack wech. Der pure Verlust der Wahrnehmung des eigenen Seins. Mit all seinen Gerüchen.

Eine Antwort auf „Verlust der Wahrnehmung für das eigene Sein“

  1. Sehr schön beschrieben. Das erinnert mich du ein bisschen an meine Erfahrungen aus Nigeria. Ich habe damals den Begriff „Demut“ gewählt, um das Gefühl zu beschreiben, welches ich nach der Rückkehr nach Europa verspürte.

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